(Experten Interview mit Helmut Martin und Steffen Volk, Geschäftsführer der BARMER Würzburg – Teil 2)
Welche Möglichkeiten bietet ein Coaching, um das Thema Resilienz wirksam anzugehen?
Helmut Martin: Zunächst mal ist es wichtig zu verstehen, dass Resilienz eine Fähigkeit ist, die man erlernen kann. Ähnlich wie beim Sport oder dem Erlernen einer neuen Sprache braucht man dafür Zeit und Übung. Deshalb sollten Resilienz-Konzepte, sei es im Training oder im Coaching, längerfristig angelegt sein. In einem 9-monatigen Pilotprojekt mit der VR-Bank Würzburg konnten wir klar erkennen, wie stark sich die Lern- und Integrationsprozesse über die Zeit entfalten.
Wir haben mit einem wissenschaftlich basierten Resilienzprofil gearbeitet, das zum einen das Resilienzniveau bestimmt, zum anderen aber auch anhand von 10 Faktoren aufzeigt, wo die persönliche Resilienz bereits gut ist und wo es Entwicklungsbedarf gibt.
In der Folge haben wir ein Konzept entwickelt, wie jeder Mitarbeiter über 9 Monate lang kontinuierlich an seiner persönlichen Resilienz arbeiten kann. Das kann manchmal sehr einfach sein, zum Beispiel zu überlegen, was einem guttut und Kraft gibt und wie man dies mehr in den Alltag einbaut. Es gibt aber auch sehr anspruchsvolle Resilienzfaktoren wie Emotionsregulation, Optimismus, Impulskontrolle oder auch eine lösungsorientierte Haltung zu entwickeln. Diese brauchen in der Regel mehr Entwicklungszeit und dementsprechend auch einen längerfristigen Fokus. Dasselbe gilt auch für den Glauben an sich selbst, die Selbstwirksamkeit. Auch diese kann man mit Coaching-Maßnahmen trainieren, indem ich meine Werte und Stärken herausarbeite und mir diese kontinuierlich bewusst mache. Aber auch hier braucht es Zeit, bis der gewünschte Effekt eintritt.
Steffen Volk: Die positive Nachricht ist: Resilienz ist nicht nur genetisch bedingt, sondern auch erlernbar. Es ist ein Prozess! Mittels Coaching lassen sich schlechte Denkweisen wie etwa „Fokus auf Probleme, weniger auf Lösungen“ – verändern. Die BARMER unterstützt Unternehmen zum Beispiel im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements mit einer HRV-Messung. Darunter versteht man Herz-Raten-Variabilitäts-Messungen. Durch eine Umrechnungsformel lässt sich ermitteln: Wie voll ist gerade mein Akku? Wie viel Resilienz steht mir zur Verfügung, um auf neue Krisen reagieren zu können. Darüber hinaus unterstützen wir die Beschäftigten mit weiteren Informationen zum Thema „Resilienz“. Wir als Unternehmen selbst investieren ebenfalls viel in die Resilienz unserer Mitarbeitenden durch zum Beispiel E-Learnings, Präsenz-Seminare und unser internes betriebliches Gesundheitsmanagement.
Wie oft wird die HRV von Unternehmen in Anspruch genommen?
Steffen Volk: Sehr oft! Und was das Thema Resilienz angeht, werden bei der BARMER immer mehr Maßnahmen für Firmen umgesetzt. Das Thema gewinnt bei Firmen einen größer werdenden Stellenwert!
Ist es nicht so, dass es tolle Führungskräfte gibt, die aber vor lauter Bäume den Wald nicht mehr sehen, weil zu viel auf sie einströmt und die dann diese Selbstverantwortung zur Resilienz kaum wahrnehmen?
Helmut Martin: Davon kenne ich einige Fälle. Wenn das Gehirn überlastet ist und wir limbisch in den Bedrohungsmodus gehen, geraten wir in eine Art Tunnel und wir verlieren den Bezug zu unseren Stärken und Fähigkeiten. Wir funktionieren nur noch und kämpfen symbolisch um das eigene Überleben.
Hier braucht es Feedback von außen – jemanden, der diese Situation erkennt und auch anspricht. Agiert man hier frühzeitig, ist es mit Coachingmethoden leicht möglich, Führungskräfte zu stärken und wieder in ihre Kraft zu bringen.
Zurück zum Thema Coaching für mehr Resilienz: Welche Methoden bieten sich hier besonders an?
Helmut Martin: Ich arbeite hier gerne mit aktuellen, neurowissenschaftlichen Verfahren und dem hypnosystemischen Ansatz von Dr. Gunther Schmidt. Beide sind hoch wirksam. Aber natürlich auch mit Achtsamkeitstechniken und Coaching Interventionen, die ich in den letzten 10 Jahren eigener Tätigkeit entwickelt habe.
Das Wichtigste bei allen Methoden ist der Zugang zum emotionalen Gehirn. Dies kann zum Beispiel über spezielle Achtsamkeitsübungen erreicht werden. Auch über die Arbeit mit Metaphern oder über „Embodiment-Techniken“. Mit all diesen Methoden erreichen wir einen schnellen Zugang zum Zwischenhirn und können so sehr effektiv an der Erzeugung positiver oder auch an der Reduzierung belastender Emotionen und Themen arbeiten. So verhelfen wir Menschen wieder sehr schnell einen Zugang zu ihrem inneren Potential.
Auf welche Signale achten Sie, um entscheiden zu können, wie Sie Ihrem Klienten am besten helfen können?
Helmut Martin: Ich arbeite mit einem wissenschaftlichen basierten Resilienzprofil, das mit insgesamt zehn Resilienz-Faktoren arbeitet. Die Ergebnisse lassen Rückschlüsse zu, bei welchen Resilienz-Faktoren das Niveau bereits hoch ist und bei welchen weniger. So kann ich Vorhandenes stärken und mithelfen, dass schwach ausgeprägte Faktoren entwickelt werden.
Mit welchem zeitlichen Umfang muss man in etwa rechnen, wenn man ein solches Resilienz-Projekt durchführt?
Helmut Martin: Um ein solches Projekt im Unternehmen erfolgreich zu integrieren, reichen drei Tage aus. Diese können auf neun Monate aufgeteilt bzw. gestreckt werden. Man beginnt mit einem halben Tag, an dem man das Thema Resilienz einführt. Der erste Resilienzfaktor heißt: Positive Emotionen erzeugen. Nach zwei oder drei Wochen folgen kurze Seminareinheiten von zwei Stunden, in denen man wieder einen Resilienzfaktor bespricht und dazu Übungen macht. Zwischen den Terminen erhalten die Teilnehmenden Zusatzmaterial zur Vertiefung und zum Transfer. Das steigert die Lernkurve und schafft die Brücke, die Inhalte des Seminars auf den Alltag zu übertragen.
Kommt jemand zu einem persönlichen Resilienz-Coaching, wird ganz individuell vorgegangen. Das ist anders als in einer Gruppe.
Steffen Volk: Ich will noch etwas Persönliches ergänzen: Ich halte mir selbst alle 14 Tage einen einstündigen Zeitblock frei, an dem ich keine Außentermine wahrnehme und mich nur mit meiner persönlichen Weiterbildung beschäftige. Ich nehme dafür interne Angebote wahr, aber auch E-Learning oder nehme mir die Zeit für die Selbstreflexion. Daraus leite ich gerne Maßnahmen für mich selbst oder mein Team ab – unter anderem auch, wenn es um die eigene Resilienz geht.
Haben Sie ein Beispiel dafür?
Steffen Volk: Wir haben im August 2022 ein zentrales Online-Seminar für unsere Firmenkunden durchgeführt. Dabei ging es um das Thema „Age-Diversity. Dabei geht es um Konfliktpotenziale, die bei der Zusammenarbeit von diversen Altersgruppen in Firmen entstehen können. Daraus leite ich bestimmte Maßnahmen ab. Hier geht es auch darum, Bewusstsein zu schaffen für die Verhaltensweisen der Kollegen. Oft lautet ja die Frage: Warum tickt der gerade so? Und schon sind wir wieder beim Thema Führungskultur und Resilienz.
Ende Interviews, Teil 2
Im dritten und letzten Teil des Interviews äußern sich Helmut Martin und Steffen Volk dazu, wie Führungskräfte und Mitarbeiter ihre persönliche Resilienz – unabhängig vom Coaching – entwickeln können. Zudem geben sie einen Ausblick in die Zukunft und erklären, welche Chancen Resilienz Unternehmen bietet und welche Risiken sich ergeben, wenn es daran mangelt!